Ein Gedicht von Christine Lavant in 19 Bildern von Luise Kloos
2015
Buchobjekt
Collage, Acryl, Tusche und Graphit
auf handgeschöpftem Papier, handgenäht gebunden
19 Doppelinnenseiten, Cover
Format: ca 71 x 50 cm x 6 cm geschlossen, ca 142 x 101 cm geöffnet
Der Ausgang meiner Überlegungen war, dass ich für die kommende Ausstellung in der Steirischen Landesbibliothek ein Buchobjekt entwickle, das der ursprünglichen Tradition eines Buches folgt: handgeschöpftes Papier, handgebunden und handgemalt. Die Buchstaben habe ich aus drei verschiedenen Tageszeitungen entnommen und damit den Text collagiert. Dies ist einerseits eine ästhetische Entscheidung im Zusammenhang mit dem Material des Buches, und andererseits eine Referenz an die spätere Entwicklung des Buchdruckes. Darüberhinaus wurde Collage verwendet, in einer Zeit, wo das Gedicht von Christine Lavant geschrieben wurde. Die Buchstaben sind allesamt aus Nachrichten, die die Schrecknisse der Zeit beinhalten (wie z.B. Flüchtlingswelle, Amokfahrt in Graz, Vergewaltigungen, Wirtschaftskrise, Kriegsberichterstattung aus Syrien und Türkei) und nehmen indirekt die Verbindung zum Inhalt des Gedichtes auf.
Der Arbeitsprozess gestaltete sich in vielen Vorentwürfen, war doch der Respekt in ein bereits gebundenes Buch hineinzuarbeiten sehr groß. Zuerst die Zeileneinteilung – ich ziehe 3 Zeilen im Gedicht für das Buch zusammen, danach geschieht die Auswahl und das Kleben der Buchstaben. Die bildnerische Gestaltung beginne ich mit der Zeile „in der Wildnis über den Wassern“ auf Seite 5 und arbeite mich dann zurück zur Seite 1, danach Seite für Seite bis zum Ende des Buches.
Der innere Prozess und die Struktur des Gedichtes und folgt der subtilen Veränderung des Bewusstseins. Seite für Seite bilden Text und Bild eine Einheit und erlauben eine zeitlose und zugleich intime Auseinandersetzung.
Text des Gedichtes
Ich will das Brot mit den Irren teilen,
täglich ein Stück von dem großen Entsetzen,
auch die Glocke im Herzen,
dort, wo die Taube nistet
und ihre winzige Zuflucht hat
in der Wildnis über den Wassern.
Lange hab ich als Stein gehaust
am Grunde der Dinge.
Aber ich habe die Glocke gehört
Leise von deinem Geheimnis reden
In den fliegenden Fischen.
Ich werde fliegen und schwimmen lernen
und das Steinerne unter den Steinen lassen,
die Schwermut betten in Perlmutter,
doch den Zorn und Elend erheben.
Meine Flügel sind älter als deine Geduld,
meine Flügel flogen dem Mut voraus,
der das Irren auf sich nahm.
Ich will das Brot mit den Irren teilen
Dort in der furchtbaren Wildnis der Taube,
wo die Glücke das große Entsetzen drittelt
zum dreifachen Laut deines Namens.