Grenzen des Sichtbaren
Text von Erwin Fiala
2017
Luise Kloos‘ Arbeiten haben, auch wenn sie das dem ersten Blick nicht preisgeben, nahezu immer mit gesellschaftlichen und politischen, gesellschaftspolitischen, Fakten und Befunden zu tun, die der Künstlerin Sorge bereiten. Sie zum Nachdenken bringen und in der Folge zu kreativen Prozessen. Das geschieht manchmal auf höchst sinnfällige Weise, indem sich die Künstlerin einer Herstellungsmethode bedient, deren Fachvokabular für sich spricht. So etwa wenn sie eine Arbeit webt, sich einer Technik bedient, in der die Begriffe „Kette“ und „Schuss“ wesentlich sind. Der Bogen in den Bereich menschlicher Gewalttätigkeit ist rasch gespannt.
Mit dem Zyklus „Stille in Rot, Gelb und Blau“, aus dem in dieser Präsentation Beispiele gezeigt werden, verhält es sich nicht anders. Auch er thematisiert geopolitisch Unerfreuliches: das Verschwinden der tibetischen Kultur, welches (so Kloos) „aus unserer Entfernung kaum sichtbar und wahrnehmbar vor sich geht“.
Farblicher Ausgangspunkt ist Barnett Newmans in den 1960er-Jahren entstandenes, auf kunstimmanente Fragen abzielendes berühmtes Gemälde-Quartett “Who’s Afraid of Red, Yellow and Blue”. Rot, Gelb und Blau bringt Kloos in Form von Mineralfarben (wie sie in der tibetischen Kunst verwendet werden) zu Papier. Jeweils eine Farbe pro Blatt, in Verläufen von kräftig bis nahezu unsichtbar: „Dieser Farbauftrag ist gemäß der tibetischen Maltradition ein vielschichtiger feiner und stiller Vorgang, der letztlich einen ganz fließenden Farbauftrag zeitigt. Bis hin zur Grenze des Sichtbaren.“
Die Methode der Auslöschung einer Kultur durch die Auslöschung ihrer künstlerischen Hervorbringungen ist eine leider durch die Jahrtausende bewährte Methode, die zwischen Bamyan und Palmyra nach wie vor Erschütterung und Wut auslösende Schlagzeilen macht. Aber eben nicht immer, wie Kloos meint und auf solch weniger beachtete Brachialakte mit äußerst subtilen Mitteln hinweist: „Es ist gerade die tausend Jahr alte tibetische Kultur, die den chinesischen Machthabern so bedrohlich erscheint, derart bedrohlich, dass man sie verschwinden lassen möchte.“